Madame

198 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Woosmer

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KLASSIK SPEKTRUM
SCHÖNE WILDE SEELE
Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili ist nicht nur optisch ein großer Genuss.
Ihr Spiel verzückt – und man fragt sich, woher sie diese Zaubertöne nimmt
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Sonntagmorgen, 11 Uhr, Matinee
in der Essener Philharmonie. Der
große Saal rappelvoll. Geigerin
Lisa Batiashvili gibt ein Recital.
Und tritt auf in einem höllisch
roten Schlauchkleid mit sündig
tiefem Dekolleté, während draußen die Domglocken
läuten. Kurz wirft sie
die langen Haare aus dem
Weg, da beginnt sie schon,
ihrer Stradivari die ersten
weichen, dunklen
Töne zu entlocken,
aufzusteigen
in die blendenden
Sphären der hohen
Lagen, um das virtuose
Glitzern bald
wieder in Richtung
elegischer Mittellage
zu verlassen und fortgerissen
zu werden vom
Rhythmus. Woher sie wohl
diese Töne nimmt?
Schwerer Wein und sanfter
Cognac, dazu schneebedeckte
Berggipfel: Wer etwas
mit Georgien verbindet,
dem „Balkon
Europas“ hinter dem
GANZ NAH DRAN
â NEUE CD Violinkonzert
von Brahms mit der
Sächsischen Staatskapelle
unter Christian
Thielemann (Deutsche
Grammophon).
Tipp: Beethovens
Violinkonzert mit der
Kammerphilharmonie
Bremen (Sony)
â LIVE 22. – 26. 7.:
Verbier Festival,
Mehr Infos:
klassik
akzente.de/
lisabatiashvili/
termine
Schwarzen Meer, der kommt kaum über diese
Bilder hinaus. Und denkt an Musik. Denn
Musiker aus Georgien waren schon zu Zeiten
der Sowjetunion häufige Gäste im Westen. Seit
sie untergegangen ist, sind es noch viel mehr.
Wie eben Lisa Batiashvili, die mit zehn Jahren
an der Hand ihrer Eltern von Tiflis nach München
kam. Das kannte ihr Vater, Primarius
eines Streichquartetts, von Gastspielen her.
Die Isar-Metropole wird, nach drei Jahren in
der Île de France ihrem französischen Ehemann
zuliebe, gerade wieder der Wohnsitz.
„Musik ist in Georgien ein Lebenselixier“, so
Lisa Batiashvili im Gespräch mit MADAME.
„Wenn Menschen zusammensitzen, singen sie
bald. Mit dieser temperamentvollen Volksmusik
wächst jedes Kind auf. Das
hat ebenso wie die Landschaften
meiner Jugend meine Klangvorstellungen
und musikalischen
Stimmungen beeinflusst.“
Eine Zeit lang galt die inzwischen
34-Jährige mit ihrem so extrovertierten
wie hochsensiblen Spiel mehr als
Geheimtipp unter Musikerkollegen denn als
Zugpferd am Klassikmarkt: „Ich habe wenig
getan, um stets präsent zu sein. Ich bin nicht
der Typ, der ein Leben in der Öffentlichkeit
führt, und schütze mein Privatleben, auch aus
Rücksicht auf meine Familie, vor allem meine
Kinder.“ Eine Tochter, 8, und ein Sohn, 4. Und,
ja, die immense Unterstützung durch Kollegen
war ihr wichtiger als Euphorie im Publikum,
bekräftigt sie. Inzwischen hat sie beides. Wobei
sie gern mehr Bindung zum Publikum aufbaut.
In der vergangenen Saison war sie Residenz-
Solistin beim WDR-Sinfonieorchester in Köln
und Kapellsolistin bei der Sächsischen Staatskapelle
in Dresden. „Das gibt einem Gelegenheit,
auch Stücke abseits des Mainstreams und
vor allem Kammermusik zu spielen“, so die
Geigerin. Der Ton sei ein Spiegel der Persönlichkeit,
sagt sie. „Manche meinen, man dürfe
FOTOS: Anja Frers/DG (1); Waldhaus Konzerte Flims (2); Uli Weber/Sony Classical (1)
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keinen schönen Ton haben, weil dann der
Ausdruck fehle. Unsinn. Es geht darum,
einen eigenen Ton zu haben, denn der
trifft den Hörer. Es gibt etwas darin, das aus
der Seele kommt.“ Okay, dann muss Lisa
Batiashvili eine Seele haben, so schön und
so wild wie der heimatliche Kaukasus.
Sie hat Georgien nicht vergessen – und erfolgreich
ein Benefizprojekt für das Konservatorium
in Tiflis angestoßen. Ein materiell
total heruntergekommenes Institut, an dem
sie einst lernte und ihre Eltern heute wieder
lehren. „Wenn die Deutschen nach Georgien
kommen, um dort etwas in Gang zu
setzen, dann reagiert auch das offizielle
Georgien. Das wirkt wie ein Weckruf“, begründet
sie dieses Engagement. Und auch
sie selbst hängt von Wohltätern ab: Ihre
Stradivari „ex Joachim“ ist eine Leihgabe
der Nippon Music Foundation. „Die haben
ein Komitee, das einmal im Jahr zusammentritt.
Wenn man nichts Aufregendes
mehr zu tun hat, ist man die Geige los. Oder
man hat sich nicht gut benommen …“ Zum
Beispiel am Sonntagmorgen so ein rotes
Kleid getragen? „Nein“, lacht sie, „aber ich
habe das gern; es stammt von einem Designer
aus meiner Heimat. Und ich dachte:
Zu der Zeit sind die Leute noch müde; also
wecke ich sie auf.“ Und ist sich im Übrigen
einig mit den meisten Konzertsolistinnen:
„Die schönsten Kleider für das Podium
macht Roberto Cavalli.“ REINHARD BEUTH
Grandios
Zum vierten Mal lädt Intendant
Marcus Bosch Musiker von Weltrang
zu den „Waldhaus Konzerten Flims“
(25. 7 .– 4 . 8.) ins legendäre „Waldhaus Flims
Mountain Resort & Spa“ im Schweizer
Kanton Graubünden. Das Festival findet nicht
nur hier, sondern auch an atemberaubenden
Naturschauplätzen statt. Auf dem Programm:
Kammermusik, Solo-Recitals, konzertant aufgeführte
Opern ... Infos: flimsfestival.ch
HINGEHÖRT: NEUE CDS
âVAMP Umwerfendes Aussehen und
phänomenale Bühnenpräsenz zeichnen die
georgische Sopranistin Nino Machaidze (Foto
links) aus. Dazu eine kalt-brillante Stimme,
die auf ihrer neuen CD „Arias & Scenes“
(Sony) mit italienischen und französischen
Opernhits die Hauptrolle spielt.
âBLUE NOTES Andreas Ottensamer ist der
Shootingstar unter den Klarinettisten. Seine
Debüt-CD „Portraits – The Clarinet Album“
(Deutsche Grammophon) zeigt seine große
Palette: von klassisch bis jazzy.
âCHARME Nur wenige Insider kennen bislang
den katalanischen Klavier-Impressionisten Federico Mompou und seine farbschillernde
Musik. Der russische Pianist Arcadi Volodos entreißt auf der CD
„Volodos plays Mompou“ (Sony) diese zauberhaften Stücke dem Vergessen.
âDRAMA Auf den großen Opernbühnen der Welt zwischen Wien, Mailand
und New York ist der charismatische, italienische Tenor Massimo Giordano
seit einigen Jahren gesetzt. Nun gibt er auf seiner Debüt-CD „Amore e
Tormento“ (BMG) Kostproben aus seinem Repertoire von Verdi bis Verismo.
Persönliche Note
â$//(6)5%$&+ Das Bild eines großen Musikers in teils sehr persönlichen Episoden
zeichnet Sara Maria Rilling in „Mein Vater Helmuth Rilling“ (SCM Hänssler, 16,95 Euro). Wie
Kunst oft aus Privatem erwächst und doch das Privatleben wieder
hinter der Musik verschwindet, erkennt man hier mit Staunen.
Neu aufgelegt zum 80. des Dirigenten, Festivalchefs, Chorleiters und
bedeutenden Bach-Exegeten. âUND IMMER WIEDER VERDI Für
Italiens Star-Dirigenten Riccardo Muti sind die Opern Verdis nicht nur
Herzens-, sondern Ehrensache. Keiner hat wie er dessen Werke von
Sängereitelkeiten und Bühnenschlendrian gereinigt. In Gesprächen
mit dem Journalisten Armando Torno hat er sein ganz persönliches,
kantiges Bekenntnis zu Verdi abgelegt: „Mein Verdi“ (Bärenreiter
Henschel, 19,95 Euro). Spannend! âHERZTÖNE So offen wurden
selten die Vorder- und Hintergründe einer fantastischen Musikerkarriere
beleuchtet. Ob die Intima des Karajan-Eklats oder das
Landleben mit Pferden: Margarete Zander verschweigt nichts in der Biographie „Sabine
Meyer. Weltstar mit Herz“ (edel, 24,95 Euro). Die Super-Klarinettistin zum Anfassen.
KLASSIK IM NETZ
Youtube war gestern:
Die besten Opern,
klassische Konzerte
und die tollsten
Ballettaufführungen
genießt man online
jetzt auf Klassik.tv –
dem ersten digitalen
Fernsehen für
klassische Musik