Madame

198 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Woosmer

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FILM
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sie haben. Ob sie auf die veränderten
Umstände reagiert und sich verändert
haben. Und inwieweit sie in der falschen
Identität, die sie sich zulegen
mussten, gefangen sind.
Ihre große moralische Frage ist doch:
Muss man nach 30 Jahren immer noch einstehen für seine Taten?
Genau! Ob wir für unsere Vergangenheit zur Verantwortung
gezogen werden müssen. Mich interessierte, dass diese Aktivisten
im Untergrund sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen
haben. Einige bedauern, was sie getan haben.
Andere eher, dass die Bewegung sich selbst zerstört hat.
Und es gibt welche, die immer noch an die Sache glauben.
Wie haben Sie sich Ihrer Figur angenähert?
Langsam. Es hat vier Jahre gedauert, bis wir mit dem Dreh
beginnen konnten. Neil Gordons Roman „The Sea of Green“
lieferte mir die Grundlage und umfasst sehr viele Handlungsstränge.
Ich habe die Geschichte auf den Reporter und den
Anwalt eingedampft. Das hat Zeit gekostet, mir die Figur aber
auch immer näher gebracht. Am Ende passte sie mir wie
angegossen. Also wollte ich sie auch spielen. Selbst wenn ich
es nicht so mag, gleichzeitig Regisseur und Darsteller zu sein.
Warum nicht?
Ich kann mich selbst nicht gut inszenieren. Spielen ist okay,
Regie führen ist okay. Aber ich mochte mich noch nie gern
selbst in Filmen sehen. Ich könnte mir nie beim Spielen
zugucken und sagen: Ja, das war gut.
Welches Buch hat Sie noch fasziniert und geprägt?
„Les Misérables“. Den Roman habe ich mit sieben Jahren
gelesen und geliebt. Er wirkte ewig in mir nach. Ich glaube,
es war mir lange nicht bewusst, aber das Thema Jäger und
Gejagte oder auch Verfolger und Verfolgte war immer meins.
Die meisten meiner Filme handeln davon.
Das ist also eine Art roter Faden in Ihrem Werk?
Ja, und das ist mir erst kürzlich klar geworden. Sogar in
„Quiz Show“, in der es scheinbar um die Unter hal tungsindus
trie geht, kommt dieses Motiv vor. Letztendlich geht
es immer um die Suche nach der Wahrheit.
In „The Company You Keep“ zeigt sich das in der Jagd zwischen
Reporter und Ex-Aktivist.
Auch da gibt es wieder die Spannung der Verfolgung. Und
das Thema, dass du deiner Vergangenheit nicht entkommen
kannst. Shia LaBeouf als Reporter, der nach der Wahrheit
sucht, ist wie Inspektor Javert aus „Les Misérables“, der hinter
Jean Valjean her ist, mit dem ich mich identifiziere.
In Cannes wurden Sie jetzt als Schiffbrüchiger in „All Is Lost“ gefei
ert. Da fungieren sie nur als Schauspieler, wie auch in „Captain
America“, wofür Sie gerade den Vertrag unterzeichnet haben.
Eine Kehrt wende zur reinen Schauspielerei?
„WICHTIG IST DIE
DISTANZ
ZWISCHEN
ARBEIT UND
PRIVATEM.“
ROBERT REDFORD
Ja. Im Gegensatz zu früher, wo ich
fast ausschließlich als Schauspieler
und Produzent gleichzeitig gearbeitet
habe, was sehr stressig war,
will ich jetzt wieder zurück zu meinen
eigentlichen Wurzeln.
Aber in „Jenseits von Afrika“, in „Ein unmoralisches Angebot“
oder „Der Pferdeflüsterer“ traten Sie doch auch nur als Schauspieler
in Aktion.
Ich bin immer mal kurz aufgewacht und habe diese Rollen
angenommen. Aber nun steht Sundance auf festen Füßen.
Und ich habe gemerkt, dass mir etwas Wesentliches fehlt:
das, womit bei mir alles anfing und was mir als Künstler
am meisten bedeutet hat – die Schauspielerei. Dahin will
ich zurück, solange ich noch kann. Das ist meine Basis.
Sie sind aber auch als Regisseur legendär. 1980 feierten Sie Ihr
Regiedebüt mit „Eine ganz normale Familie“, womit Sie groß
rauskamen: sechs Oscar-Nominierungen, vier Trophäen.
Das hat mich umgehauen. Ich war gar nicht auf diesen gigantischen
Erfolg vorbereitet. Letztlich war es ja nur ein
Low-Budget-Film. Der ganze Hype hat mich total nervös
gemacht. Ich wollte eine Pause machen, um danach frisch
loszulegen. In dieser Zeit wurde mir klar, dass es mich am
meisten erfüllt, wenn ich meine Popularität so einsetze,
dass sie anderen zu Chancen verhilft. So kam ich auf das
Sundance Festival, das dem unabhängigen Film eine Lobby
bietet. Aber dieser Aufgabe habe ich mich viel intensiver
und länger verschrieben, als ich eigentlich vorhatte.
Ihre Rolle in „All Is Lost“ von J. C. Chandor ist sehr extrem. Sie
sind in diesem intensiven Drama, das nächstes Frühjahr bei uns
anläuft, der einzige Schauspieler.
Dieser Mann, der allein auf seinem Boot einem Sturm ausgesetzt
ist und kaum spricht, hat mich fasziniert. Genau so
was wollte ich spielen. Ich kenne J. C. von der Sundance-
Premiere seines Films „Margin Call – Der große Crash“. 30
Jahre lang habe ich junge Filmemacher unterstützt – aber nie
hat einer von ihnen mir mal eine Rolle angeboten. Verrückt,
oder? Und dann erzählte mir J. C., er habe etwas für mich
geschrieben. „Mache ich!“, rief ich sofort, allein schon weil
ich es so toll fand, dass endlich mal einer was für mich hat.
In dem Film sprechen Sie ungefähr 50 Worte.
Wirklich, so viele?
Vielleicht auch nur zwölf. Jedenfalls sind nur Sie auf der Leinwand
zu sehen. War das der Reiz, diese Rolle anzunehmen?
Absolut! Ganz allein zu sein und fast keine Worte als Ausdrucksmittel
nutzen zu können ist für einen Schauspieler irre
reizvoll. Ich hatte auch Lust, mich völlig in die Hand eines
Regisseurs zu begeben und mich führen zu lassen, nachdem
ich so oft gleichzeitig Regisseur und Schauspieler war.
MADAME 8/2013

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Zwei Stunden Stille statt großer Monologe – das ist enorm beeindruckend.
Aber sicher auch psychisch belastend.
Ich glaube an die Wichtigkeit der Stille – im Film wie auch
im Leben. Ich habe mit angesehen, wie die Entwicklung der
Technologie voranschreitet und alles sich immer rasanter
bewegt. Die Menschen kommunizieren schneller und am
liebsten alle gleichzeitig – als ob sich die Energie selbst
beschleunigt. Muss die Über-Kommunikation nicht irgendwann
zum Stillstand kommen? „All Is Lost“ ist ein absoluter
Kontrast zu unserer heutigen Zeit, ein starkes, ruhiges
Statement gegen all den Lärm da draußen.
Sind Sie noch immer dieser Naturbursche, der wettergegerbte
Cowboy, der die Natur über alles liebt?
Sie ist für mich sehr wichtig. Unser Planet spricht gerade
sehr laut und deutlich zu uns. Tornados und Dauerregen,
Tsunamis und Erdbeben, Verwüstungen und Überschwemmungen,
ein einziges Chaos. Das fortschrittsorientierte
Amerika ist ständig dabei, neue Technologien voranzutreiben,
ganz egal was dafür geopfert werden muss – sei es das
Land der Ureinwohner oder die Natur selbst.
Was kann man dagegen machen?
Keine Ahnung, dahinter stehen mächtige Konzerne. Vielleicht
sind Filme ein Weg, um für diese Themen zu sensibilisieren.
Ich ziehe es vor, direkt an die Öffentlichkeit zu
gehen. Jeder von uns muss das tun, was ihm möglich ist,
um die Natur vor ihrer weiteren Zerstörung zu retten.
Wie wurden Sie zu der moralischen Instanz, als die Sie gelten?
Ich bin noch vor dem Zweiten Weltkrieg geboren, direkt nach
der Wirtschaftskrise, und habe ihn als Kind aus der Arbeiterklasse
erlebt. Mit der Zeit ist unser Wertesystem in den USA
durch politische Skandale aufgeweicht worden, ob durch die
Chruschtschow-Skandale, Watergate oder die Iran-Contra-
Affäre. Ich wuchs noch in einem Land auf, dessen Moral und
Werte von einem Gefühl der Unschuld geprägt waren.
Wie vereinbaren Sie Ihre Haltung mit den Zwängen der kommerziellen
Filmindustrie?
Ich war immer Teil des Hollywood-Systems, habe aber nie
mittendrin gelebt, sondern mich stets abseits gehalten, in
den Rocky Mountains. In Utah habe ich mir mein Haus
gebaut, um bewusst den Versuchungen Hollywoods zu entgehen,
die meine künstlerischen Ambitionen gefährdet hätten.
Ich bin zwar in L. A. aufgewachsen, aber die Stadt habe
ich nie als magischen Ort empfunden, nur als Arbeitsplatz.
Ich glaube, die Distanz zwischen Arbeit und Privatleben hat
mir geholfen, an dem System nicht kaputtzugehen.
Sie sind 76. Hadern Sie mit dem Alter?
Das Gute am Alter ist: Man wird auch etwas weise. Wenn
man jünger ist, ist man nur damit beschäftigt, nach vorne
zu schauen und Neues in Angriff zu nehmen. Man hat gar
nicht die Zeit, den größeren Zusammenhang seines Handelns
zu betrachten. Mit den Jahren wird man klüger und
ein bisschen philosophischer. Ich schaue heute oft zurück.
Wünschen Sie, Sie hätten etwas anders gemacht?
Nein, gar nichts. All die Fehler eingeschlossen. Sie müssen
sein, um sich weiterzuentwickeln. Jeder von uns macht sie.
Gerade Misserfolge lassen uns wachsen. Man muss sich nur
wieder aufrappeln, weitergehen und etwas daraus lernen.
Bedauern Sie dennoch etwas?
Einiges … Berufliches weniger, da habe ich fast alles gemacht,
was ich wollte und wie ich es wollte, und fühle mich
sehr beschenkt, diese Freiheit und Unabhängigkeit gehabt
zu haben. Es sind eher persönliche Dinge. Welche genau
werde ich aber sicherlich hier nicht verraten.
Gab es für Sie Meilensteine in Ihrer Karriere?
Sicher „Die Unbestechlichen“, für die wir vier Jahre brauchten,
weil sich dauernd Hindernisse in den Weg stellten. Ich
war sehr glücklich, als der Film dann endlich ins Kino kam.
Oder „Jeremiah Johnson“, den das Studio erst nicht kommerziell
genug fand und der dann versehentlich in Cannes
landete. Das war ein Triumph. Bei „The Company You
Keep“ bekam ich Bedenken zu hören: Der Film sei zu komplex.
Nun macht er seinen Weg. MARIAM SCHAGHAGHI
FOTOS: Concorde Filmverleih GmbH (3)
HETZJAGD Von der Vergangenheit
eingeholt: In „The Company You
Keep“ ist Robert Redford auf der
Flucht – und gefordert als Vater
einer Tochter (Jackie Evancho)