Madame

198 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Woosmer

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KUNST
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Blaulicht Die portugiesische
Künstlerin Joana Vasconcelos,
41, hat den portugiesischen Pavillon aufs
Wasser verlagert. „Trafaria Praia“ nennt
sie ihr Projekt, in dem sie auf die Lissabon
und Venedig gemeinsame Tradition
anspielt, in der Wasser, Navigation und
Schiffe eine entscheidende Rolle spiel(t)en.
Man kann auf dem Fährschiff (oben) außen
einen Azulejo-Streifen mit den berühmten
blau-weißen Keramikkacheln bewundern
und vor allem im Inneren des Schiffes eine
bezwingende Symphonie aus Textilien und
Licht, die sich immer wieder verändert und
einen in einen krakenhaften Unterwasserkosmos
versetzt (Foto links). Dienstag bis
Freitag 12 und 17 Uhr , Samstag und Sonntag
12, 15 und 17 Uhr werden Rundfahrten
von den Giardini zur Punta della Dogana
angeboten. Trafaria Praia, Riva dei Partigiani,
in der Nähe des Vaporetto-Stops Giardini
Die Biennale in Venedig existiert seit 1895
und ist seit Ewigkeiten neben der nur alle
fünf Jahre stattfindenden documenta das
weltweit wichtigste Ereignis zeitgenössischer
Kunst. Eine Offenbarung. Und eine
Zumutung. Eine Offenbarung, weil sie immer
wieder Glücksmomente verheißt,
lustvolle unerwartete Kunstentdeckungen. Eine Zumutung,
weil von vorneherein feststeht, dass es eine Illusion ist zu
glauben, auch nur annähernd alles sehen zu können. Obwohl
man es eigentlich ja weiß, überrascht es einen alle
zwei Jahre dann doch wieder. Aber nicht auf jeder Biennale
gibt es ein Kunstereignis, das die Situation des Besuchers
in so symbolhafter Deutlichkeit in Szene setzt wie Tara Subkoffs
von Marella gesponserte Performance und Installation
„Future/Perfect“ mit der Schauspielerin Milla Jovovich (siehe
Seite 55). Die konnte man an einem der Vernissage-
Tage in einer leider einmaligen Aktion dabei beobachten,
wie sie unter Bergen von Objekten fast zu ersticken drohte.
Die Parallelen zu den Erfahrungen der Biennale-Besucher
sind gewiss nicht zufällig. Manch einer scheint bei den 88
über die ganze Stadt verstreuten nationalen Pavillons, den
Werken von über 150 Künstlern in der zentralen von Massimiliano
Gioni kuratierten Ausstellung „Der enzyklopädische
Palast“, den unzähligen sogenannten kollateralen
Events und den überall auftauchenden selbst ernannten
Performance-Künstlern, die in keinem Programmheft stehen,
den Überblick zu verlieren. Anders lässt es sich ja wohl
nicht erklären, dass sich Kunstbeflissene in langen Warteschlangen
vor mediokren Kunstwerken quälen, dass aber
die grandiose Ausstellung „Manet. Ritorno a Venezia“ (bis
18.8.2013) im Dogenpalast, in der man Manets „Olympia“
direkt neben Tizians „Venus von Urbino“ bewundern kann,
menschenleer ist. Zugegeben, die Schau hat nicht direkt
etwas mit der Biennale zu tun, aber diese hat ja im Gegensatz
etwa zur documenta immer davon gelebt, dass man so
wunderbar fremdgehen kann, indem man, sagen wir einmal,
zwei, drei Schritte in eine Kirche macht und vor einem
Altarbildnis von einst vielleicht Maßstäbe für die Kunst von
heute gewinnt. Solche Kontraste sind sicher die schönste
Erfahrung, die man in den nächsten Monaten (bis
24.11.2013) in Venedig machen kann. Das sicherlich zwingendste
Beispiel dafür ist die Ausstellung „When Attitudes
Become Form: Bern 1969/Venice 2013“ in der Fondazione
Prada, die Harald Szeemanns legendäre Schau mit Konzeptkunst,
Arte Povera und Land-Art 1969 in der Kunsthalle
Bern in den historischen freskenverzierten Räumen des Palazzo
Ca’ Corner della Regina wiederauferstehen lässt. Den
Blickwinkel auf die Dinge verändert auch eine Arbeit des
Architekten John Pawson in Kooperation mit dem Unternehmen
Swarovski, die nicht umsonst „Perspectives“ heißt.
Eine Linse von 40 cm Durchmesser, die auf einer spiegelnden
Oberfläche liegt, erlaubt einen ungewohnten Blick auf
die Kuppel der Palladio-Kirche Basilica di San Giorgio Maggiore.
Und wer schon einmal hier auf der Isola di San Giorgio
gelandet ist, sollte natürlich auch den überwältigenden
Blick vom Campanile genießen. Entdecken Sie hier unsere
Lieblingskunstwerke, die den Blick verändern:

MADAME 8/2013

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IN BEWEGUNG
Wunderbar still und ohne viel Aufhebens zu machen präsentiert
sich der rumänische Pavillon mit „An Immaterial
Retrospective of the Venice Biennale“. Manuel Pelmus, 38,
eine der bekanntesten Figuren des rumänischen Tanzes,
und Alexandra Pirici, 31, Choreografin und Performance-
Künstlerin, die in diversen künstlerischen Medien arbeitet
(beide auf dem Foto links oben), schaffen tagtäglich mit
wechselnden Gruppen von Tänzern ein ephemeres
Monument der Biennale seit ihrer Gründung im Jahre
1895. Sie präsentieren spielerisch Werke und Aktionen,
welche die Biennale geprägt haben, mit der Garantie,
dass keine Performance desselben Opus identisch ausfällt.
Auch die Möglichkeit, ein besonders inspirierendes Werk
der Biennale 2013 noch in ihre Arbeit zu integrieren,
schließen die Künstler nicht aus. Durch ihr Vorgehen,
Monumentales in Immaterielles, Objekte in Aktionen zu
verwandeln, bieten das Künstlerpaar und seine Protagonisten
(Fotos) einen grandios innovativen Blick auf die
Biennale. Rumänischer Pavillon, Giardini
EINE EINZIGARTIGE Schule DES SEHENS
FOTOS: Christine Zurmeyer (7)
BAUKASTEN
Spielwiese, Laboratorium, Experimentierfeld ... Auf jeden Fall gibt es viel zu sehen
in Sarah Szes Installation „Triple Point“, die den Pavillon der Vereinigten Staaten
beschlagnahmt – weit über dessen Grenzen in den Außenraum hinaus. Der
Schwere des Gebäudes aus den 1930er-Jahren im Palladio-Stil setzt Sarah Sze
in mehreren raumbezogenen Installationen ihre Einladung zu mehr Leichtigkeit
entgegen. So fragil wie fantasievoll wirkt das Konstrukt, das Sammelsurium aus
Alltagsgegenständen, welche die 43-jährige Künstlerin zu filigranen Architekturen
in monatelanger Arbeit zusammengetragen und -gefügt hat. Früher gesammelte
Objekte treffen auf Fundstücke aus Venedig, etwa Blätter aus den Giardini
oder Vaporetto-Tickets. „Wenn du ohne Karte durch Venedig wanderst, findest
du die unglaublichsten Dinge“, hat die Künstlerin festgestellt. Der Besucher ist
aufgefordert, in einer desorientierenden Kunstwelt seinen eigenen Kompass zu
finden. Und sich in diesem „Work in progress“, bei dem spätere Ergänzungen nicht
ausgeschlossen sind, mit Lust in einem der Tausenden von Details zu verlieren.
Das ist nicht schwierig. Pavillon der Vereinigten Staaten, Giardini
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