Madame

198 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Woosmer

Kommentare Text Suche

Seite 66

FILM SPEKTRUM
GIRLS &
THE CITY
Tiefgründige Befindlichkeiten, mit viel
Charme und Leichtigkeit präsentiert:
Greta Gerwig wird eine der ganz Großen
68
Anfang August ist es so weit:
Greta Gerwig, von der „New
York Times“ kürzlich als
„maßgebliche Leinwandheldin
ihrer Generation“
gefeiert, wird 30. Und wohl
kaum privat wiederholen, was sie als Co-Drehbuchautorin
der Figur, die sie in ihrem neuen
Film „Frances Ha“ spielt (Start: 1. August), in
den Mund gelegt hat: „Es ist mir so peinlich.
Ich bin noch keine wirkliche Person.“ Die
deutschstämmige, mit einer Schwester in der
kalifornischen Hauptstadt Sacramento aufgewachsene
Schauspielerin und Filmemacherin
studierte Englische Literatur am Barnard College
der Columbia-Universität in New York
und wurde bald danach zur Galionsfigur der
STARPOTENZIAL
Experimentelle Streifen
wie ihr Debüt „LOL“
(2006) machten sie zur
Indie-Queen, die seither
in über 20 Filmen mitgespielt
hat. Ein Wendepunkt
hin zum Hollywood-Kino
war „Greenberg“
mit Ben Stiller
(2010), sie trat im Remake
von „Arthur“ auf
und hatte im Vorjahr mit
„Lola gegen den Rest der
Welt“ ihren Durchbruch
als Leading Lady. In
„Frances Ha“ (Foto unten
mit Mickey Sumner)
knüpft sie definitiv wieder
an diesen Erfolg an.
Independent-Bewegung Mumblecore, die ähnliche
Prinzipien verfolgt wie Dogma aus Dänemark.
Mit „Greenberg“ (2010) näherte sie sich
beruflich dem Mainstream-Kino – und privat
ihrem Regisseur, Noah Baumbach, 43, mit
dem sie auch „Frances Ha“ realisierte. Ein
Dream-Team, die beiden. Er dunkel, jüdischromantisch,
mit sehr intellektuellem Flair,
cineastisch der französischen Nouvelle Vague
so verhaftet, dass er den kleinen Sohn, den er
mit seiner Exfrau, der Schauspielerin Jennifer
Jason Leigh, hat, Rohmer taufte, wohl nach
Éric Rohmer, einem seiner Vorbilder.
Greta Gerwig dagegen strahlt fröhliche Helligkeit
aus, eine Westküs ten lässigkeit mit großer
physischer Präsenz. Als Privatperson wie in
der Rolle der Frances Ha, in der sie als arme,
aufstrebende Tänzerin durch den jungen
Künstlerkosmos eines zwar schwarz-weiß gefilmten,
aber sehr im Hier und Jetzt verhafteten
New Yorks wirbelt. „Es ist ein Spaziergang
auf der ‚Memory Lane‘, man soll
absichtlich gewisse Nachklänge von Woody
Allens ‚Manhattan‘ spüren“, sagt sie, die im
Vorjahr für den Großmeister in „To Rome with
Love“ vor der Kamera stand. „Ein Hauch von
Nostalgie ist für mich der Motor, der diesen
Film vorantreibt, denn es ist ja eine Geschichte
über das Ende der Jugend.“ Wie François
Truffauts Klassiker „Sie küssten und sie schlugen
ihn“ (1959). Anlehnungen an dessen
Soundtrack wehen durch die ersten Einstellungen
von „Frances Ha“, um überzugehen in
die Beats von David Bowies „Modern Love“
(1983), die Greta Gerwig im Gespräch munter
anstimmt: „I’m lying in the Rain/But I never
wave bye-bye/But I try, I try ...“
FOTOS: The New York Times/Redux/Laif (1); Pine District, LLC/MFA + Film Distribution e.K. (1); Gianni Fiorito/DCM (1)
MADAME 8/2013

Seite 67

Der Film ist eine Lovestory, nur dass es hier
um das Auseinanderbrechen – und die Neugestaltung
– einer Busenfreundschaft geht, in der
das Erwachsenwerden die zunächst symbiotischen
Protagonistinnen Frances und Sophie
(Mickey Sumner) auf verschiedene Umlaufbahnen
schickt. „Es gibt so viele Songs und
Filme über das Ende von Romanzen, aber wenig
über das Auseinanderdriften vormaliger
Best Buddies, was ja bei Thirty-Somethings
oft passiert“, meint Greta Gerwig. Sie kennt
die Welt der Frances Ha: Unlängst gehörte
auch sie noch zu den Heerscharen junger,
ambitionierter Uni-Absolventen, die im Big
Apple mit horrenden Mieten und sporadischen
Einkommen kämpfen. Ähnlich wie in „Girls“,
der von Lena Dunham, einer engen Freundin
von Greta Gerwig, konzipierten Erfolgsserie
im TV. Als kleine autobiografische Zugehörigkeitsgeste
treten in „Frances Ha“ Greta
Gerwigs eigene Eltern als die der Titelheldin
auf, und einige Szenen spielen im Apartment
der Schauspielerin in der Horatio Street im
West Village. Der Film ist eine Ode an das New
Yorker Lebensgefühl heute, ein Roadmovie,
das mit Frances’ zahlreichen Umzügen von
Brooklyn über Chinatown die ständige Abwärtsspirale
auf dem Wohnungsmarkt illustriert.
Aber auch das Bei-sich-Ankommen ihrer
Figur, die Frances Halliday heißt, jedoch
die Buchstaben auf ihrem Briefkasten so groß
schreibt, dass nur ein Teil des Nachnamens
Platz findet. „Sie ist immer noch unfertig und
dabei, sich zu definieren, doch auf dem richtigen
Weg, die zu werden, die sie sein will“,
sagt Greta Gerwig – ganz so, als spräche sie
auch von sich selbst. )5,('(5,.($/%$7
VERY BRITISH
Zum Schwelgen: Die
BBC-Serie „Parade’s End
– Der letzte Gentleman“
über das Ende der
viktorianischen Ära
gibt’s jetzt auf DVD
(polyband, ca. 17 Euro).
Das Drehbuch schrieb
Dramatiker Tom
Stoppard nach der
Kultromanvorlage von
Ford Madox Ford.
Lesestoff für Filmfans
Daniel Winkler untersucht in „Marseille! Eine Metropole im filmischen Blick“
(Schüren, 24,90 Euro) die Rolle einer der europäischen Kulturhauptstädte
2013 in der Filmgeschichte: von Godards „Außer Atem“ bis zu Guédiguians
„Schnee am Kilimandscharo“. Marli Feldvoß liefert mit „Unterwegs im Kino“ (Stroemfeld,
29,80 Euro) neunzig großartige Texte aus den Jahren 1985 bis 2012: Glanzlichter
im publizistischen Werk dieser wichtigen Kritikerin. Ein literarisches Schelmenstück
ist Christine Wunnickes „Selig & Boggs – Die Erfindung von Hollywood“ (Berenberg,
20 Euro) über die Anfänge der Traumfabrik. In „Hitchcock und die Künste“ (Schüren,
19,90 Euro) durchleuchtet Herausgeber Henry Keazor das Werk des Meisters.
Kitz as Kitz can
S(n)o(w)ciety – und jetzt auch Film-Mekka. Vom
28. bis 31. August erlebt Kitzbühel eine Premiere:
ein erstes Filmfestival, das die kulturelle Landschaft
des mondänen Alpenortes bereichert.
Neben einem aktuellen internationalen Programm
und hochkarätigen Retrospektiven liegt
der Fokus auch auf dem jungen österreichischen
Film. Es werden Nachwuchstalente ebenso präsentiert
wie etablierte Filmschaffende aus aller
Welt. Um die „Gams“ wird in den Genres Spiel-,
Dokumentar- und Kurzfilm konkurriert – und es
wird ein Publikumspreis vergeben. Info: ffkb.at
HEISSE FILME IN KÃœHLEN KINOS
âBILDERFLUT Rauschende Feste,
schillernde Figuren: In „La Grande
Bellezza“ (Foto links) setzt
Paolo Sorrentino der Stadt Rom
ein Denkmal – und Fellinis „Dolce
Vita“. Schööööön! Start: 25.7.
âBRISANT Brit Marling brilliert
als Co-Drehbuchautorin und
Hauptdarstellerin in dem Politaktivistendrama
„The East“. Engagiert und sehr zeitgemäß. Start: 18.7.
âHOCHSPANNUNG Im elegant und raffiniert inszenierten Spionagethriller
„Die Möbius-Affäre“ mischen Oscar-Preisträger Jean Dujardin und Cécile
de France die internationale Hochfinanz auf. Großartig! Start: 1.8.
âINSPIRIEREND In „Gloria“, für dessen Titelrolle Paulina García auf der
Berlinale 2013 den Silbernen Bären gewann, vermengen sich Tränen und
Tango-Rhythmen zu einer emotionalen Achterbahnfahrt. Start: 8.8.
âCHARMANT In „Camille – Verliebt nochmal!“ wird Hauptdarstellerin
Noémie Lvovsky nach 25 Ehejahren verlassen. Und ist auf einmal wieder 16.
Hat den Körper von damals, das Wissen von heute – und die Chance, alles
besser zu machen ... Eine tragikomische, bittersüße Zeitreise. Start: 15.8.
69