Madame

198 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Woosmer

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KUNST
BITTE PLATZ NEHMEN! Der berühmte chinesische und in seiner Heimat regelmäßig
Repressalien ausgesetzte Künstler Ai Weiwei, der ja auch Architekt ist, hat schon 2007 auf der documenta 12 ein Faible für Möbel gezeigt.
1001 Türen und Fenster traditioneller Gebäude der Ming- und Qing-Dynastie (1368–1911) fügte er zu seiner „Schablone“ genannten Skulptur,
die desto mehr Berühmtheit erlangte, als sie irgendwann windbedingt einstürzte – und so noch spektakulärer wirkte. 1001 hundert- bis vierhundert
Jahre alte Stühle, die quer über das documenta-Gelände verstreut waren, luden zum Probesitzen ein. Insofern hat der Besucher des
Deutschen Pavillons der Biennale, der – Freundschaft verpflichtet – dieses Mal das Gebäude mit dem französischen getauscht hat, ein Déjàvu-Erlebnis,
auch wenn es nun einfache Hocker sind, die Ai Weiwei raumfüllend auftürmt. Die 886 antiken dreibeinigen Holzschemel türmen
sich zu einem reizvollen fotogenen Dschungel, den der Besucher durchschreiten kann. Ästhetisches Neuland betritt der Künstler mit seiner
Arbeit mit dem Titel „Bang“ (unten links) allerdings nicht. Wifredo Díaz Valdéz (Jahrgang 1932) zeigt im Uruguayischen Pavillon in seiner Schau
mit dem Titel „Tiempo (Tiempo) Tiempo“ (Zeit (Zeit) Zeit) wie häufig hölzerne Fundstücke, mit denen er die „Poetik des Raums“ – wie einst ein
Ausstellungstitel lautete – erkundet. Gerne stülpt er dabei das Innere nach außen und studiert das Nagen der Zeit am Objekt, wie etwa bei seiner
Skulptur „Butaca (Armsessel), 1984, open“ (unten rechts). Deutscher Pavillon im Französischen Pavillon und Uruguayischer Pavillon, Giardini
HOLZSCHEMEL-SKULPTUR VON AI WEIWEI
SKULPTUR „BUTACA“ VON WIFREDO DÍAZ VALDÉZ
DER TEUFEL, ABER AUCH DIE Kunst STECKT IM DETAIL
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Farbenfroh „Campo de Color“ heißt die nicht nur optisch
reizvolle minimalistische Installation von Gewürzen der bolivianischen Künstlerin
Sonia Falcone im Lateinamerikanischen Pavillon auf dem Terrain des Arsenale.
Die 1965 geborene Künstlerin, die heute in Hongkong lebt, hat 300 Tongefäße mit
wohlriechenden Pigmenten von Pfeffer über Kakao bis Zimt gefüllt. Die Gewürze in
Puderform sind in diversen Farben leuchtend koloriert und sprechen ganz bewusst
mehrere Sinne gleichzeitig an. Mit Aromen, die sie bei Reisen auf Märkten an allen
Enden der Welt entdeckte, schafft Sonia Falcone einen universellen Raum, der nicht
nur Okzident und Orient verbindet, sondern auch zur Kontemplation einlädt.
„El Atlas del Imperio“, Lateinamerikanischer Pavillon – IILA, Isolotto dell’ Arsenale.
MADAME 8/2013

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2 ANRI SALAS „RAVEL RAVEL UNRAVEL“
1 CATHERINE LORENT UND MARTIN EDER
3 INSTALLATION VON RASHAD ALAKBAROV
FOTOS: Christine Zurmeyer (7); Joao Ferrand/JFF (1)
Töne & Lichter 1 „Relegation“ nennt die 1977 in München geborene und heute in Berlin lebende luxemburgische Künstlerin
Catherine Lorent ihre Arbeit im Luxemburgischen Pavillon, die aus 13 elektrischen Gibson-Gitarren, drei Flügeln, etlichen Zeichnungen, Skulpturen und Neonleuchten
besteht. Auch wenn die Künstlerin nicht wie an den Eröffnungstagen der Biennale vor Ort ist (unser Foto zeigt sie und den Künstler und Musiker Martin
Eder nach der Performance „Gran Horno & Guests“), kann der Besucher einen spannenden Parcours abschreiten, bei dem er selbst durch seine Bewegungen
Musik in Gang setzt. Luxemburg Pavillon, Ca’ del Duca, Corte del Duca Sforza 3052 2 Der 1974 in Tirana geborene Anri Sala lässt den Deutschen Pavillon, der aber
dieses Jahr der französische ist, rauschhaft mit filmisch dargebotenen (siehe Foto oben) Variationen von Maurice Ravels „Konzert für die linke Hand“ für Klavier
und Orchester bespielen. „Ravel Ravel Unravel“ heißt der wortspielerische Titel, der auf das englische Verb „to ravel“ – etwas verwirren – anspielt. Deutscher
Pavillon, Giardini 3 Der 1979 in Baku geborene Rashad Alakbarov widmet sich seit etwa einem Jahrzehnt vor allem raffinierten Schatten-Installationen, die
sich an Fenstern orientieren, die im 18. und 19. Jahrhundert für Aserbaidschans Architektur typisch waren. Die Schrift „It is not chaos“ in der Arbeit (oben)
lässt sich übrigens nur in der fotografischen Wiedergabe lesen. Ornamentation, Aserbaidschan Pavillon, Palazzo Lezze, Campo S. Stefano, San Marco 2949 4 Der
Neuseeländer Bill Culbert, Jahrgang 1935, hat sich mit seiner Lichtkunst einen Namen gemacht. „Energie und Einfachheit“ kennzeichnen seine Arbeit (oben)
aus fluoreszierenden Röhren und alten kolorierten Plastikflaschen, die großartig mit der Architektur der früheren Sakristei der Kirche La Pietà korrespondiert.
Bill Culbert, Front Door Out Back, Neuseeland Pavillon, Istituto Santa Maria della Pietà (La Pietà), Castello 5 „A RemoteWhisper“ (Ein fernes Flüstern) nennt der
1956 geborene portugiesische Künstler Pedro Cabrita Reis seine Einladung zu einer ungewöhnlichen Raum-Erfahrung (oben). Palazzo Falier, San Marco 2914
4 LICHTKUNST VON BILL CULBERT
5 „A REMOTE WHISPER“ VON PEDRO CABRITA REIS