Madame

198 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Woosmer

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KUNST
2 ZEICHNUNG VON FRÉDÉRIC BRULY BOUABRÉ
1 AUSSCHNITT AUS SHINRO OHTAKES SKIZZENBÃœCHERN
3 „DOLL“ VON MORTON BARTLETT
4 ZEICHENBILDER VON MATT MULLICAN
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JEDER MENSCH IST EIN Künstler – ODER NICHT?
ENZYKLOPÄDISCH Regelmäßige
Biennale-Besucher wissen schon, dass die jeweilige
Überblicksschau der Biennale im zentralen Pavillon der Giardini und im Arsenale manchmal recht überraschende Titel hat. Auch dieses Jahr ist
das nicht anders. Der 1973 geborene Kurator der Schau, Massimiliano Gioni, der u. a. künstlerischer Leiter der Fondazione Nicola Trussardi in
Mailand ist, hat den Titel „Der enzyklopädische Palast“ gewählt. Ausgangspunkt für die Benennung war das Modell eines gigantischen Turms,
das der autodidaktische Künstler Marino Auriti 1955 konstruiert hatte, in der leicht abwegigen – und natürlich nie in die Tat umgesetzten –
Vorstellung, in dem zu erbauenden Turm später einmal das gesamte Wissen der Menschheit zu speichern. Auch Werke anderer Autodidakten
und Outsider-Künstler stellt Massimiliano Gioni aus, aber natürlich sieht man ebenso Werke etablierter Künstler. Die Arbeiten von über 150
Künstlern sind ausgestellt, auf folgende sollte man achten: 1 Die Skizzenbücher aus den Jahren 1977–2012 des Japaners Shinro Ohtake, die
man in gläsernen Vitrinen bewundern kann (oben ein Detail) sind poetische Collagen, die die Fantasie animieren. Der 1955 in Tokio geborene
Japaner hatte schon auf der letzten documenta mit seiner Arbeit „Mon Cheri: A Self-Portrait as a Scrapped Shed“ in der Karlsaue Aufsehen
erregt 2 Frédéric Bruly Bouabré wurde 1923 in Zéprégüé in Elfenbeinküste geboren. Er hat sich mit Hunderten leicht wiedererkennbaren von
postkartengroßen, beschrifteten Zeichnungen einen Namen gemacht (Foto: „Je suis l’oeil bleu d’une belle femme qui aimante les élus“, 1992
aus der Serie „Connaissance du Monde“) 3 „Doll“ (1936–1963) heißt die Skulptur des Amerikaners Morton Bartlett (1909–1992), von dessen Besessenheit
für Puppen man erst nach seinem Tode erfuhr 4 Ein faszinierendes Labyrinth aus Zeichen- und Schriftbildern (oben ein Detail) zeigt
der amerikanische Künstler Matt Mullican (Jahrgang 1951). Il Palazzo Enciclopedico, Zentralpavillon Giardini und Arsenale
MADAME 8/2013

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Platonisch „Kunst
der Geist des Ortes in den 5 Platonischen Körpern“ heißt eine Ausstellung
der 77-jährigen deutschen Künstlerin Lore Bert in der berühmten Biblioteca
Nazionale Marciana, der einst der Dichter Petrarca seine Handschriftensammlung
stiftete. In einem weißen Meer von Tausenden von gefalteten
Papieren hat die Künstlerin ihre großformatigen, mit Spiegelflächen gebauten
Platonischen Körper platziert, die nun die grandiose Decke etwa mit Bildern
von Paolo Veronese widerspiegeln. Die fünf regelmäßigen Polyeder, welche die
Elemente Wasser, Erde, Feuer, Luft und das Universum repräsentieren, werden
durch zwölf großformatige Bildobjekte ergänzt. Eine so beeindruckende
wie verwirrende Tour de Force. Biblioteca Nazionale Marciana am Markusplatz
und Wissen –
Auf dem Teppich Selten war der Ausdruck „Auf
dem Teppich bleiben“ wohl wahrer als in der Schau im Palazzo Grassi, die dem
1956 in Meran geborenen Künstler Rudolf Stingel gewidmet ist. Was im Vorfeld
eher wie eine etwas aberwitzige Idee schien, entpuppt sich nun in François Pinaults
Reich auf 5000 Quadratmetern als eine überzeugende, immer wieder überraschende
Perspektiven bietende Erfahrung. Das omnipräsente Motiv des Orientteppichs,
das Böden und Wände bedeckt – und daran denken lässt, dass Venedig einst
ein wichtiges Tor zum Orient darstellte – ermüdet den Betrachter kein bisschen.
Rudolf Stingel, Palazzo Grassi, Campo San Samuele 3231. Bis 31. Dezember 2013
FOTOS: Christine Zurmeyer (7); Courtesy CAAC - The Pigozzi Collection (c) Frédéric Bruly Bouabré (1)
PURISTISCH Wer wagt, gewinnt. Tatsächlich erscheint es
ja auf den ersten Blick – oder besser vor dem ersten Blick auf die aktuelle
Ausstellung – wahnwitzig, eine Schau, die vor Jahrzehnten stattfand und
Geschichte schrieb, an einem anderen Ort zu rekonstruieren. Aber genau
das hat Germano Celant nun mit dem Künstler Thomas Demand und dem
Architekten Rem Koolhaas mit Harald Szeemanns legendärer Ausstellung
„Live in Your Head. When Attitudes Become Form“, die 1969 in der Kunsthalle
Bern stattfand, mit triumphalem Erfolg für die Fondazione Prada getan.
Und so kann man in den prächtigen historischen Räumen der Ca’ Corner
della Regina ein Wiedersehen mit Künstlern wie Joseph Beuys, Daniel
Buren, Carl Andre, Walter De Maria, Joseph Kosuth, Mario Merz etc. feiern.
Wunderbar! Fondazione Prada, Calle de Ca’ Corner, Santa Croce 2215
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