Madame

198 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Woosmer

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FILM
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DER GROSSE
R.R.
Früher waren wir vernarrt in seine blitzblauen Augen, sein Lächeln,
seine Verwegenheit. Und heute? Gehen wir auf die Knie vor einem Mann,
dessen Schauspielkunst wir vielleicht jetzt erst richtig zu würdigen
wissen: Robert Redford – nun mit „The Company You Keep“ am Start
Madame 8/2013
FOTO: Vittorio Zunino Celotto/Contour by Getty Images

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Als George Clooney noch die Schulbank
drückte, war Robert Redford, heute 76,
schon längst das politische Gewissen
Hollywoods. Nach Kassenschlagern wie
„Barfuß im Park“ oder „So wie wir waren“
galt er nicht nur als das Sexsymbol
schlechthin, sondern auch als sichere
Bank im Filmgeschäft. War jemand, der darauf bestehen
konnte, gesellschaftskritische Filme wie das Watergate-Drama
„Die Unbestechlichen“ selbst zu produzieren. Sei ne
Kurzvita: Nach einem Theaterwissenschaftsstudium in New
York und einigen Hungerjahren auf der Bühne gelingt ihm
1969 mit „Butch Cassidy und Sundance Kid“ der Sprung auf
die Kinoleinwand. Sein Privatleben? Ungewöhnlich skandalfrei
für jemanden seines Kalibers in der Traum fabrik. Von
1958 bis 1985 ist er mit der Schauspielerin Lola Van Wangenen
verheiratet, hat mit ihr die Kinder Shauna, 52, James,
50, und Amy, 42. Das älteste, Scott, starb 1959 an plötzlichem
Kindstod. 1981 gründet Robert Redford in Utah das
Sundance Institute, das wohl wichtigste Forum für den Independent
Film, dessen alljährliches Festival bis heute ein
Highlight der internationalen Kinolandschaft ist. 1996 lernt
er bei diesem Event die deutsche Künstlerin Sibylle Szaggars
kennen und lieben, im Sommer 2009 heiratet das Paar in
Hamburg, der Heimat der Braut, höchst unauffällig in der
kleinen Kirche St. Severini im Stadtteil Kirchwerder. In eigenen
Regiewerken wie „Der Kandidat“ oder „Von Löwen
und Lämmern“ hat er immer wieder große ethische Fragen
aufgeworfen. Wie jetzt in „The Company You Keep – Die
Akte Grant“ (Start: 25. Juli). Robert Redford schrieb das
Drehbuch, führte Regie und spielt die Hauptrolle: einen ehemaligen
Linksradikalen, der einst in der Untergrundbewegung
Weathermen die Viet nam politik der US-Regierung
bekämpfte. Und nunmehr unter falschem Namen als geachteter
Anwalt und allein erzie hen der Vater einer Zwölfjährigen
lebt und nach der Verhaftung einer früheren Mitstreiterin
(Susan Sarandon) eines Tages von einem übereifrigen
Reporter (Shia LaBeouf) aufgespürt wird. Beim Gespräch im
Pariser Hotel „Georges V“ wirkt Robert Redford oberlässig.
Jeans, schwarzes Shirt, Türkisring. Die rotblonden Haare
fallen ihm so jungenhaft ins (mittlerweile nicht nur windund
wettergegerbte) Gesicht wie eh und je. Er begrüßt mich
auf Deutsch. Fast akzentfrei. Und sehr charmant: „Hallo, ich
erinnere mich an Sie.“ Um dann, augenzwinkernd, ins Englische
überzugehen: „Erinnern Sie sich auch an mich?“
Sie haben in Paris und Florenz gelebt. Hat Europa Sie geprägt?
Meine eigentliche Bildung begann mit meiner Reise dorthin,
nach dem Tod meiner Mutter. Ich war 18, hatte keine Lust
aufs College und ahnte, dass es mich weiterbringen würde,
wenn ich raus in die Welt zöge. Meine erste Station in
Deutschland war München. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung.
Ich trampte in die Stadt, und als ich aus dem Auto
stieg, kamen ein paar Studenten vorbei, nahmen mich in
ihre Mitte und gingen mit mir ins „Hofbräuhaus“. Ich war
völlig begeistert und dachte: Toll, hier sind alle so gut gelaunt!
Was ich nicht wusste: Es war Fasching.
Wann fingen Sie an, sich für Politik zu interessieren?
Nach Paris kam ich 1957, zur Zeit des Algerienkriegs. Damals
wollte ich Maler werden, beschäftigte mich vor allem
mit Kunst. Wenn ich mich aber mit Leuten in meinem Alter
unterhielt, in Cafés und auf der Straße, fragten die mich
dauernd nach meiner Meinung zu politischen Themen. Und
ich hatte von nichts Ahnung. Das war mir echt peinlich. Ich
habe mich so geschämt, dass ich anfing, mich von Europa
aus mit meinem Land auseinanderzusetzen. Ich habe viele
ausländische Zeitungen gelesen und so ganz unterschiedliche
Standpunkte über die USA kennengelernt.
Während die USA in den 1970ern mit der Terrorgruppe der
Weathermen zu tun hatten, hatten wir unter Baader-Meinhof zu
leiden. Ist Ihnen diese Bewegung ein Begriff?
Ja, ich erinnere mich. Ich interessiere mich schon lange für
jede Form von Anarchie. In der Geschichte findet sie sich
in allen Ländern: in Russland die Bolschewiken, in den USA
um 1900 herum Figuren wie Emma Goldman. Etwa alle 20
Jahre kommt es zum Aufstand gegen etwas, was manche
als totalitäres Regime empfinden oder zumindest als Gefahr,
dass die Meinungsfreiheit des Einzelnen eingeschränkt werden
soll. Dann melden sich Anarchisten lautstark zu Wort.
Seit ich einen größeren Einblick in die Geschichte habe,
stelle ich mir immer wieder die Frage, warum Anarchie
beginnt und warum sie endet.
In „The Company You Keep“ geht es um eine Gruppe Anti-Vietnam-Aktivisten,
die militant wurden.
Es geht um eine Widerstandsbewegung von jungen Leuten
gegen einen Krieg, an den sie nicht glaubten. Sie wurden
damals gegen ihren Willen eingezogen und zu etwas gezwungen,
das sie moralisch und rechtlich für falsch hielten.
Ich habe damals mit ihren Idealen sympathisiert.
Aber nicht mitgemacht?
Ich war noch sehr jung und gerade dabei, eine Familie zu
gründen und in New York eine Theaterkarriere auf die Beine
zu stellen. Aber meine Sicht stimmte größtenteils mit der
der Weathermen überein. Bis sie Gewalt einsetzten. Für
mich der Anfang vom Ende, so kam’s dann auch: Sie lösten
sich auf, einige tauchten in den Untergrund ab.
Warum schildern Sie das Thema aus der heutigen Perspektive?
Mich interessierte, was aus diesen Leuten 30, 40 Jahre später
geworden ist. Wer sie heute sind, welche Haltung ➛
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