Z die schönen Seiten

damals
smokinginder
Warteschleife
UdoJürgens hatkeine Scheuvor Extremen. Aufrund 3400Metern
spielteerKlavierineinem Sturm,derbaldige Ruhe einleitete
Chansonier,
Pop- und «ja,auch
Schlagersänger».
UdoJürgens spielt auf
einemAcryl-Piano am
Jungfraujoch 1983
für Videoaufnahmen
zum Song
«Traumtänzer».
Das war haarsträubend. 700 Kilogramm!
Ein normaler Flügel
wiegt die Hälfte. Trotzdem
war das Acryl-Klavier an Seilen
fixiert, die mit Schnee kaschiertwurden,
sonst hätteder Sturm es
davongeblasen», erinnert sich Udo Jürgens.
Der einzige österreichisch-schweizerische
Chansonier, ein von Welterfolgen
verwöhnter Popstar, hatte zwar
schon viel Aussergewöhnliches erlebt –
Eurovisions-Sieger als Schwiegermuttertraum
1966 mit «Merci, Chérie», ausschweifenden
Lebenswandel in den siebziger
Jahren («Ich war meinen Frauen nie
treu, mir tun alle leid, die diese wilden
Zeiten nicht mitgemacht haben») oder
totale Genugtuung, als Ikonen seine Lieder
interpretierten (Shirley Bassey, Matt
Monro, Sammy Davis jr.und andere).
Und doch, 1983, in rund 3400 Metern
Höhe nah beim Jungfraujoch verbrachte
Jürgens surreale Stunden, die alles in den
Schatten stellten: «Man erzählt sich noch
heute inden Kneipen von Grindelwald
diese Geschichte», sagt der Künstler.
Nicht, dass Spezial-Helikopter mit dem
extraschweren Flügel («Akustik exzellent»)
aufs Plateau knatterten. Auch
nicht, dass der Sänger,umbei den Minusgraden
zu «überleben», unterm Anzug
eine Tauchermontur trug. Ein anderes
Detail setztediesem Aber-bitte-mit-Sahne-Neujahrstag
vor dreissig Jahren beim
Videodreh zu «Traumtänzer» eine Kirsche
von einer Pointeobendrauf: «Plötzlich
tauchten am Abgrund hinter mir
Köpfe auf. Eine japanische Bergsteigertruppe
platzte indie Produktion.» Um
nach zähem Aufstieg einen Pianospieler
ganz in Weiss zu erblicken.
Modische Entgleisung? «Eine Zeitlang
habe ich den Smoking im Schrank gelassen,
weil ich etwas anderes machen
wollte.» Doch er hat stets darauf geachtet,
dass sein Stil besonnen blieb. «Gammellooks
passen zu Rockmusik, nicht zu
dem, was ich mache.» In den achtziger
Jahren wurde ihm endlich klar, dass das,
wasermachte, «ein Langzeitprojekt werden
würde». Ängste verpufften, nach
einer schwachen Produktion («Die
schlechteste? ‹Wilde Kirschen› von 1974!
Daaa, daaa, däää, dä-dä-dä-dä») könnte
alles vorbei sein. Derzeit läuft das Musical
«Ich war noch niemals in NewYork»
im Zürcher Theater 11. Andere singen
dort. Aber auch Jürgens wird bald wieder
auftreten, Evergreens schmettern, alles
geben. Mit 78! Bis er tot umfällt? «Wohl
kaum. Ichkenne meine Grenzen. Solang
die Stimme mitmacht und ich nicht
peinlich werde, wird es weitergehen.»
Da ist sie also wieder, diese neue, alte
Gelassenheit rund um das «Langzeitprojekt»,
welche kurz vor oder bald nach
dem exaltierten Dreh im Berner Oberland
ihre Anfänge fand. Florian Zobl
Vorschau
Dienächste Ausgabevon «Z –Die schönenSeiten» zumThema Interior und Design
erscheintam18./19. Maiinder «Neuen Zürcher Zeitung» undder «NZZ am Sonntag».
foto:stark/keystone
58 «z –die schönen seiten» ausgabe 2/13

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