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60 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Kampen (Sylt)

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Seite 42

Fokus
Es ist kompliziert
Jederhat schoneinmalvon Uhrenund
Komplikationen gehört.Aberwas können sie?
Und wiefunktionieren siegenau? Eine Einführung
in diekomplexeWelt mechanischer Uhrwerke
Rechts (Sektor):
Chronograph
«Monopoussoir»
von Gérald Genta
mit ewigem Kalender.
Skelettiertes
Taschenuhrwerk.
DasModul mit dem
Kalendermechanismus
ist auf einer gebläuten
Stahlplatine montiert.
Komplikatio­
nen sind des
einen Leid, des
anderen Freud.
Während man in
der Medizin gar
nicht froh ist, wenn sie
auftreten, sind sie bei der
Konstruktion hochwertiger
Uhren das Salz in der Suppe. Um
eine Komplikation zu begreifen, muss
man zuerst einmal ein mechanisches Uhrwerk verstehen. Wenn
man sich das Räderwerk einer solchen Uhr mit drei Zeigern in
einer Linie aufgereiht vorstellt, ist es gar nicht so kompliziert: Es
besteht aus einer Kraftquelle, dem Federhaus, am einen und
einer Bremse, der Hemmung, am anderen Ende. Die Hemmung
setzt sich aus Unruh, Spiralfeder,Anker und Hemmungsrad zusammen.
Dazwischen befinden sich drei Zahnräder, fertig. Sie
sorgen für eine grosse Übersetzung, so dass das Hemmungsrad
sich viel schneller dreht als dasFederhaus. Die Kraft nimmt vom
Federhaus bis zur Hemmung kontinuierlich ab und wird verschwindend
klein, weshalb Reibung der ärgsteFeind imWerk ist.
Als Komplikationen werden in der Uhrmacherei Zusatzfunktionen
bezeichnet, die ebenfalls von diesem Räderwerk angetrieben
oder zumindest gesteuert werden. Eine einfache Funktion
ist die Datumsanzeige. Zu den komplizierteren Zusätzen
zählen der Stoppmechanismus oder der Kalender mit Monatsund
Wochentagsanzeige sowie die Mondphase. Dashöchsteder
Gefühle jedoch sind Mechanismen wie Schleppzeiger,Minutenrepetition,
ewiger Kalender,Tourbillon oder astronomische Anzeigen.
Diese lassen sich natürlich auch miteinander kombinieren,
was–sobald eine bestimmteKomplexität erreicht ist –zu
einer sogenannten Grande Complication führt. Dabei ist weniger
die Anzahl Funktionen für diesen Titel ausschlaggebend als
vielmehr die Kompliziertheit der einzelnen Mechanismen. Ihre
Komplexität bietet so viel fürs Auge, dass die meisten Marken sie
durch einen Saphirglasboden neugierigen Blicken darbieten.
Genauer sein oder mehr anzeiGen
Ganz grob lassen sich Komplikationen in solche einteilen, die
mehr als die Uhrzeit anzeigen, und in solche, welche die Präzision
der Uhr verbessern sollen. Da es von Letzteren nur ganz
wenige gibt, beginnen wir gleich mit der bekanntesten, dem
Tourbillon. Der geniale UhrmacherAbraham­Louis Breguet liess
den Mechanismus 1801 patentieren und gab ihm den Namen
Wirbelwind. Das Tourbillon sorgt nämlich dafür, dass die gesamte
Hemmungseinheit, also das Herz der Uhr, sich wie eine
Ballerina um die eigene Achse dreht. In der Regel geschieht das
mit einer Umdrehung
pro Minute.
Das ergibt den Vorteil,
dass man den
Sekundenzeiger gleich
auf das Tourbillon stecken
kann. Viel wichtiger ist
jedoch, dass das Tourbillon
einen Fehler ausgleichen kann,
der selbst den besten Hemmungen
innewohnt: Die Spiralfeder, welche
die Unruh amSchwingen hält, verändertständig
ihre Geometrie, wasunweigerlich dazu
führt, dass der Schwerpunkt bei jeder Schwingung
wandertund nicht dortbleibt, wo er idealerweise
sein sollte: auf der Drehachse der Unruh. Bei
Uhren, die flach auf einem Tisch liegen, spielte
das keine Rolle. Doch bei Taschenuhren, die
senkrecht im Wams getragen wurden, beeinflusste
dieser sogenannte Schwerpunktfehler den
genauen Gang der Uhr.DasTourbillon sorgtedafür,
dass der Fehler sich durch die ständige Lageänderung
selbst wegkorrigierte. Tourbillons haben wegen
ihrer hypnotischen Wirkung nichts an Faszination verloren
und sind dank modernen Produktionsverfahren mit
geringen Toleranzen auch in den winzigen Abmessungen für
Armbanduhren herstellbar.
Die zweite Kategorie Komplikationen stattet die Uhr mit
Anzeigen aus, welche über die blosse Indikation der Tageszeit
hinausgehen oder diese anders als mit Zeigerndarstellen. Eine
der beliebtesten Komplikationen ist der Chronograph, eine in
die Uhr integrierte Stoppuhr. Sie gehört zuden erschwinglichen
Komplikationen, bedient das Kind im Erwachsenen,
da sie wie geschaffen ist, damit herumzuspielen, und sie bietet
dem Auge viel, da sich auf dem Zifferblatt etwas bewegt. Die
grösste Herausforderung für den Konstrukteur eines neuen
Chronographenwerks liegt in der Tatsache, dass die Stoppuhr
im aktiven Zustand mehr Energie benötigt, als wenn sie gestoppt
wäre. Dies soll aber den Gang der ständig laufenden
Uhr nicht beeinflussen. Für den Gestalter besteht die Herausforderung
darin, die beiden Arten von Anzeigen auf dem Zifferblatt
klar voneinander zu trennen, wasnicht immer gelingt.
Will man dem Chronographen noch eins draufsetzen, baut
man einen Schleppzeigermechanismus ein. Dasbedeutet, dass
die Stoppuhr zwei synchron startende Sekundenzeiger besitzt,
von denen der eine sich unabhängig vom anderen stoppen
lässt, damit man sich Zwischenzeiten notieren kann. Der
Drücker,mit dem man dasbewirkt, sorgt auch dafür,dassder
gestoppte Zeiger den laufenden bei einem zweiten Knopf­
Links oben:
Zifferblattseite eines
Uhrwerks von
Vacheron Constantin.
DerMechanismus zeigt
Datum, Wochentag
und Gangreserve an.
Oben:
Sonnerie Souveraine
von F. P. Journe.Die
Vielzahl von Hebeln
und Rechen dient dazu,
die Uhrzeit akustisch
anzuzeigen.
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FOTOS: PD
druck
sofort wieder
einholt.
Eine weitere Spielart
des Chronographen
nennt sich «Flyback» oder
«Retour en Vol». Bei diesem Mechanismus
lassen sich die Chronographenzeiger auf null zurückstellen,
ohne dass man sie vorher stoppen muss. Sie beginnen
ihren Lauf dann unbeirrt wieder. Diese Funktion war
früher für Piloten ausgesprochen nützlich, weil man mit ihr
aufeinanderfolgende Routinen genau und ohne Zeitverlust
timen konnte.
Minutenrepetition
Die sogenannte Minutenrepetition lässt im wörtlichen Sinne
aufhorchen, denn sie zeigt die Zeit bei Bedarf akustisch an. Das
mag inZeiten, als es noch keine selbstleuchtenden Zeiger gab,
praktisch gewesen sein. Heute ist es vor allem edel. Uhren mit
Repetierfunktion sind nichts für Angeber,denn äusserlich sieht
man ihnen kaum an, wasinihnen steckt. Ein Hebelchen am Gehäuse
vis-à-vis der Krone ist der einzige Hinweis. Dieses muss
man betätigen, um dasmeist zweiklangige Läutwerk in Gang zu
setzen. Die Energie dafür speist man dabei gleich mit ein, denn
die Hämmerchen, die auf die zwei Tonfedernschlagen, werden
über ein eigenes Federhaus angetrieben, dasbeim Betätigen des
Hebels aufgezogen wird. Richtig kompliziert wird es bei einer
«Grande Sonnerie», welche die vollen Stunden auf Wunsch en
passant erklingen lässt wie eine Kirchenglocke. Bei einer solchen
Uhr zieht man über dieselbe Krone meist sowohl dasUhrwerk
wie auch dasLäutwerk auf.
Wiedie Minutenrepetition gehört auch die digitale springende
Stunde zu den alternativen Zeitanzeigen. Bei ihr wird die
Stunde ähnlich dem Datum in einem Fenster angezeigt. Wenn
auch nicht so kompliziertwie die Repetition, stellt sie doch eine
Knacknuss dar. Ihr Uhrwerk muss nämlich im Verlauf einer
Stunde stets so viel Energie in einen separaten Speicher in Form
einer Feder abgeben, wie am Ende der Stunde für den Sprung
des Zahlenreifs
notwendig
ist. Und
dassollwiederum den
gleichmässigen Gang der
Uhr möglichst nicht beeinflussen.
Ein Grossteil der einfachen mechanischen
Uhren besitzt ein Fenster fürs Datum. Das ist zwar
sehr praktisch, bedarf aber alle paar Monate einer Korrektur,
da solche Uhren nicht «wissen», dass nicht alle Monate31Tage
haben. Greift man nicht korrigierend ein, stimmt das Datum
nach kurzer Zeit nicht mehr. Ganz anders liegt der Fall beim
sogenannten ewigen Kalender. Der Name ist nicht ganz wörtlich
zu nehmen, hat aber immerhin bis zum Jahr 2100 Gültigkeit.
Ein ewiger Kalender kennt nicht nur die unterschiedlichen
Längen der Monate eines Jahres, er weiss auch, dass es
Ende Februar alle vier Jahre, im Schaltjahr, eine Ausnahme
gibt. Diese Informationen sind auf einem Programmrad im
Uhrwerk festgehalten, das sich innerhalb von vier Jahren einmal
um die eigene Achse dreht und dazu jeden Monat um eine
Position weitergedreht wird. Der sich ändernde Umfang wird
monatlich von einem Hebel abgetastet, welcher der Datumsscheibe
die Information weitergibt, nach welchem Datum sie
auf die Position 1zuspringen hat. Als Steigerung gibt es dann
den sogenannten säkularen Kalender, der die Hundert-Jahr-
Regel kennt und erst Ende Februar des vierhundertsten Jahres
korrigiertwerden muss, weil diese dann ausfällt. Zu einem ewigen
Kalender gehört beinahe immer eine Anzeige der Mondphase,
von denen es unterschiedlich genaue Ausführungen
gibt. In den meisten Fällen ist der Mond in zweifacher Ausführung
auf einer Scheibe dargestellt, die sich im Zeitraum von
zwei Lunationen einmal um die eigene Achse dreht. Eine
Maskeverbirgt jeweils so viel vom Mond, wie auch in der Realität
im Schatten liegt.
Selbstverständlich ist diese Aufzählung nicht vollständig. Es
gibt noch so komplizierte Dinge wie Weltzeit, Astrolabien,
Planetarien, Zeitgleichung, Sonnenauf- und -untergang sowie
konstante Kraft. Doch wir brauchen ja noch etwas Stoff für
die Zukunft. Timm Delfs
Ganz oben (Sektor):
«Strike One»
von L.U. Chopard.
DasUhrwerk lässt
zur vollen Stunde
einen Glockenschlag
erklingen. Zu sehen
sind das Hämmerchen
und das Datumfenster
in der geschwärzten
Platine.
Oben (Sektor):
Mondphasenscheibe
eines ewigen Kalenders
vonAudemars Piguet.
(Bild aus dem Buch
«Theorie der
Uhrmacherei».
Weitere Bilder
aus «Movement»
von Guido Mocafico.)
«z –die schönen seiten» ausgabe 2/13 43