Z die schönen Seiten

60 Seiten|Prospekte|20.11 - 31.12.2013Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Woosmer

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hintergrund
Bernd Munsteiner
beim Bearbeiten
der Skulptur
«Metamorphose I»,
1990. Bergkristall
mit Rutil,Michael
M.Scott Collection.
foto: Ludger grunwaLd
32 «z –die schönen Seiten» ausgabe 2/13

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Besuch beim
Steinflüsterer
BerndMunsteinersucht seit densechzigerJahren
nach neuenWegen,Mineralienzuschleifen.
Seine Skulpturenund Schmuckstücke verzaubern
Als in den sechziger Jahren in
Deutschland und Frankreich
Studenten das Establishment
mit Steinen bewarfen, startete
auch im deutschen Städtchen
Pforzheim ein Student mit einem Stein in
der Hand eine kleine Revolution. Bernd
Munsteiner war 1962 der erste Steinschleifergeselle,
der jemals ein Studium im Fach
Schmuck an der renommierten Designschule
im baden-württembergischen Pforzheim
begonnen hatte, das bekannt ist für
seine Goldschmiedearbeiten. Er stammt
aus einer Steinschleiferfamilie aus Idar-
Oberstein; sein Grossvater und sein Vater
schliffen schon Achate. Die Gegend ist bis
heute berühmt für derlei Produkte. Munsteiner
aber möchte die Dinge anders machen.
«Ich konnteeinfach keinen Vogel aus
einem Stein schleifen, nur weil dies mein
Auftrag war. Der Stein wollte kein Vogel
sein, dassah ich ihm an!»
InnovatIvesschleIfen
Munsteiner widersetzte sich der jahrhundertelangen
Tradition des Steinschliffs:
Edelsteine verloren ihre individuelle Aura,
als während der Renaissancedie ersten horizontalen
Steinschleifmaschinen erfunden
wurden –diese ermöglichten den Facettenschliff.
Nun wurde jeder Stein in eine
facettierte Form geschliffen, ganz egal, wie
das Mineral aussah, welche Eigenheiten es
hatte. Brillant, Stern und Ceylon sind bekannte
Schliffe, deren Facettenanzahl und
-ausrichtung genau festgelegt wurden. Der
junge Steinschleifer konnte Mineralien
nicht als «ein Stück Brot, von dem man
Scheiben herunterschneiden kann» betrachten.
Die sechziger Jahre waren die
richtige Zeit für neue Ideen, seine Lehrer in
Pforzheim anerkannten sein neues Denken
und förderten ihn. Munsteiner suchte und
fand während der nächsten Jahrzehnte
ganz neue Wege, Mineralien zum Strahlen
zu bringen.
Zu Beginn seiner stillen Revoltearbeitete
er vor allem mit Achaten, ganz in der von
Idar-Oberstein geprägten Familientradition.
Er schliff neue Formen unter Berücksichtigung
der natürlichen Zeichnung der
Steine heraus, Landschaften und Menschenmengen
glaubt der Betrachter zu entdecken.
«Landschafts-Achate geben aber
von Natur her schon sehr viel vor», so Munsteiner.Erentdecktedie
Kristalle –und interessierte
sich gerade für die Steine mit
Einschlüssen, welche in der Industrie weniger
Verwendung finden, da reine Kristalle
höher imWert sind.
steIne mItcharakter
Bevor Munsteiner zu schleifen beginnt,
wählt er jeden Stein sorgfältig aus, hält ihn
gegen dasLicht, beobachtet die Einschlüsse,
durchsucht das Mineral nach etwaigen
Sprüngen –und arbeitet dann eine Form
und einen Schliff heraus, welche mit den
natürlichen Eigenschaften des Materials
korrespondieren. Das kann ein Wechselspiel
aus in Bergkristallen vorhandenen
Rutilnadeln und künstlich hinzugefügten
Einschliffen sein oder ein Spiel mit offenen
Negativkristallen, deren Wirkung durch
sorgfältig gesetzteEinkerbungen noch stärker
hervortritt. Auch optische Täuschungen
setzt er oft ein. Wenn man seine Steine
bewegt, spielt das Licht mit den Formen,
neue Dimensionen scheinen sich zu erschliessen.
«Fantasy cut», Phantasieschliff,
nennt man Techniken wie die von Munsteiner
zusammenfassend. «Ich habe nie verstanden,
weshalb der konventionelle Schliff
all die Jahrhunderte nie in Frage gestellt
wurde», sagt Munsteiner. «Der Schmuck
hat sich in allen Stilepochen verändert–im
Jugendstil hatteersogar eine Vorreiterrolle
inne! Die Steine aber waren immer nur Beiwerk,
der Schliff hat sich nie geändert.»
Die Industrie zeigtesich wenig begeistert
von den Skulpturen und Schmuckstücken
des jungen Kristallkünstlers. «Ich stellte
ihre ganze Philosophie in Frage», sagt Munsteiner.Der
Wert eines Steines bemass sich
nach den vier sogenannten grossen C: «cut,
colour, carat, clarity», also Schliff, Farbe,
Karat und Reinheit, nicht nach seinem
Charakter.Und so ist es geblieben. Die ganz
grosse Umwälzung kam damals nicht, und
sie ist auch heute, 40 Jahre später,nicht in
Sicht. Zu gross wären wohl die Veränderungen
geworden und zu schwierig die Umstellung
des ganzen Segmentes, zumal viele
Menschen sich kein Unikat wünschen, sondern
einen Diamanten im Brillantschliff,
dessen Wert jeder versteht. Munsteiner ist
darüber nicht mehr wütend; er strahlt die

«Der Stein
wollte kein
Vogelsein,
dassah ich
ihman»
Zufriedenheit eines Menschen aus, der sein
Leben mit etwasverbringen konnte, daser
gerne tut.Aber verstehen kann er die «Edelstein-Konservativen»
auch nicht. «DasWissen
ist da, dasKönnen ist da, aber die Kreativität,
die fehlt», sagt er.Die Hoffnung auf
einen Wandel hat er aber nicht aufgegeben:
«Die Uhrenbranche galt in den siebziger
Jahren auch als tot, aber dann kamen neue
Ideen, und sie wurde wichtig wie nie zuvor.»
Heute geht er auf die siebzig zu, ein
freundlicher Mann mit dem gleichen Walrossschnurrbart,
den er schon als Student
trug. Seine Hände zeugen von Jahrzehnten
harter Arbeit, auch wenn er heute aus Altersgründen
nicht mehr schleift. Sein Sohn
Tomhat vor 15 Jahren dasAtelier im Dorf
Stipshausen nahe Idar-Oberstein übernommen.
Er führt die Ideen seines Vaters fort,
entwickelt sie weiter, er erschafft neue
Schliffe; seine Frau Jutta, eine Goldschmiedin,
setzt sie in Schmuck um. In der Schlei-
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