Pleamle Magazin

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Seite 42

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KUNST.KULTUR
STOFF DER HEIMAT
Ein Film von Othmar Schmiderer
A 2011, 94 min.
Othmar Schmiderer im Gespräch mit Claus Philipp
Trachten, Tradition und Abweichung von derselben: Wie haben
Sie sich dem „Stoff der Heimat“ angenähert?
Schmiderer: lch habe das Gefühl, dass mich die Filmprojekte immer
irgendwie „abholen“. Ich hatte vorher zwei Projekte in Afrika gedreht:
„Back to Afrika“ über Protagonisten von André Hellers Zirkusshow
„Afrika, Afrika“, und – gemeinsam mit einem Ethnologen - einen Film
über Voodookultur. Das hat mir ziemliche Grenzen aufgezeigt: Wie
geht man um mit dem „Fremden“, was heißt eigentlich das „Fremde“,
und wo ist dann das „Fremde“ in einem selbst? Nach diesen Filmen ist
durch Zufall, genauer gesagt durch Vermittlung von meinem Freund
Bodo Hell, die Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer auf mich zugekommen
mit der Frage, ob ich nicht Interesse hätte, einen Film über Trachten
zu machen. Mein erster Impuls war: Um Gottes Willen, lasst mich
damit in Ruhe! Aber je länger ich nachgedacht habe, war das dann
doch eine Geschichte, die mich sehr betroffen hat, weil ich ja selbst in
einem „trachtigen“ Umfeld, in Lofer, aufgewachsen bin.
Sie empfanden dieses Umfeld als belastend?
Schmiderer: Das wäre etwas dick aufgetragen. Aber natürlich hatten
wir in den 50er- und 60er- Jahren etwa noch Lehrer, die in „Tracht“ aufgetreten
sind und gleichzeitig von der nationalsozialistischen Ideologie
geprägt waren. Das hat sich niedergeschlagen in der Art und Weise
der Erziehungsmethoden. Das kann sich heute kaum mehr jemand
vorstellen. Wobei man jetzt aber mit der Distanz sagen muss: Man
kann das Thema Tracht nicht nur auf die Instrumentalisierung durch
die Nazis reduzieren. Es gibt auch andere Aspekte. Und dieses ambivalente
Verhältnis hat mich letztlich auch wirklich interessiert.
Es ist ja gewissermaßen eine Tragikomödie im deutschen Sprachraum,
dass sich Volkstum oder Tracht und alles was damit zusammenhängt
an Selbstinszenierung oder Identitätsdarstellung im
Nationalsozialismus so desavouiert hat. In jedem Western und in
jedem Film über irische Volksmusikanten empfindet man das als
durchaus beeindruckend.
Schmiderer: Ja, und natürlich erinnere ich mich auch an durchaus sehr
originelle, faszinierende Persönlichkeiten, z.B Bauern und durchaus
authentische Menschen, die in Tracht aufgetreten sind, denen man
nicht dieses „Ewiggestrige“ zuordnen konnte. Auch in der heutigen
Trachtenlandschaft wäre es zu einfach, alles und jeden in eine NSoder
Musikantenstadel-Schublade zu stecken.
Es gibt da im Film zum Beispiel die sehr renommierte Trachtenmodenproduzentin
Tostmann, die hartnäckig gegen „braune
Flecken“ ankämpft, die ihrer Branche zugeschrieben werden.
Aber das ist wohl eine Sisyphos-Arbeit. Woher kommt der Begriff
„Tracht“ etymologisch eigentlich?
Schmiderer: „Tracht“ kommt von „tragen“ und geht auch historisch viel
weiter zurück als z.B. das Dirndl. Da gibt es viele Missverständnisse.
Tracht ist mit bestimmten Volks-, sozialen und Berufsgruppen verbunden.
Es ist teilweise wirklich faszinierend - vom Handwerk her. Es gibt
Pleamle Magazin Nr 9 2012

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KUNST.KULTUR 43
Thema: Kunst.Kultur
Text: Stoff der Heimat, Sheida Samyi
Fotos: Stoff der Heimat
Link: www.pleamle-magazin.com
/2012/09/stoff-der-heimat/
ja durchaus Trachten, die handwerklich auf höchstem Niveau gefertigt
werden, die auch eine Schönheit haben. Das Problem ist halt, dass wir
einfach aufgrund unserer Geschichte Schwierigkeiten haben, da noch
einen neutralen Blick darauf zu werfen. Und man muss leider auch
zur Kenntnis nehmen, dass ebendiese Geschichte vielerorts immer
noch unter den Teppich gekehrt oder eben instrumentalisiert wird.
Einerseits gibt es Leute, die nach wie vor und teilweise unbewusst einem
ganz bestimmten ideologischen Gedankengut anhängen. Und
gleichzeitig trifft man Menschen, die ident sind mit dem, was sie tragen,
mit ihrer Tracht, wo ich auch gar nicht auf die Idee kommen würde,
dahinter noch etwas anderes zu sehen.
Was wäre denn Ihr Wunschpublikum für diesen Film?
Schmiderer: Mir ist egal, ob das jetzt traditionelle Trachtenträger oder
urbane Intellektuelle und Skeptiker sind. Interessanterweise sind von
beiden Seiten schon von vornherein Vorurteile auf mich eingeprasselt.
Wenn die Leute hören, du machst einen Film über Tracht, dann wirst
du schnell in eine bestimmte Ecke gestellt. Es ist teilweise bedrückend,
wie wenig differenziert wird – und das könnte eine Möglichkeit dieses
Films sein: Eindimensionale Bilder und Schwarzweißmalereien zu
hinterfragen.
Ein wesentliches Thema von „Stoff der Heimat“ ist die Instrumentalisierung
von Trachtenmode im politischen Kontext. Prominente
Politiker wie Erwin Pröll kommen zu Wort.
Schmiderer: Ein Grundproblem bei Politikern, wenn man sie zu diesem
Thema befragt, ist, dass man über Standardantworten kaum hinaus
kommt. Einiges muss man da zwischen den Zeilen lesen. Wobei
man das in den unterschiedlichen Regionen auch wieder wirklich differenziert
sehen muss. Tracht ist mancherorts ja nicht gleichzusetzen
gewesen mit Gleichschaltung, sondern ein Synonym für Widerstand
gewesen, etwa in Südtirol z.B, oder in der Schweiz geht man ganz anders
mit der Tracht um als in Österreich.
Wie würden Sie für sich den Begriff „Heimat“ definieren?
Schmiderer: Heimat ist zunächst an den Ort der Herkunft gebunden,
andererseits hat für mich Heimat auch mit der bewussten Wahrnehmung
des Ortes zu tun, an dem ich mich gerade befinde. Ich kann im
Prinzip an vielen Orten Heimat finden, wenn es mir gelingt, mich auf
das Fremde einzulassen. Und das Fremde trage ich ja sowieso in mir.
Das ist für mich auch eine der zentralsten Geschichten: das Fremde in
mir zu entdecken.
Der Schnitt war offenkundig sehr wichtig bei diesem Film: Aus
einem Übermaß an Material gewissermaßen eine Erzählung zu
skelettieren.
Schmiderer: Ja, die Form hat sich erst am Schneidetisch ergeben. Ich
wollte ursprünglich einen Film ohne Statements machen, dann ist
mir aber bewusst geworden, was das bedeuten würde: Es wäre dann
doch sehr affirmativ, wenn nicht gar eine Verherrlichung geworden,
wobei ich im Laufe des Drehs gemerkt habe: Das wird sich nicht ausgehen.
Wir haben ein dreiviertel Jahr an diesem Film geschnitten und
da hat es massive Diskussionen mit dem Cutter Daniel Pöhacker und
mit meiner dramaturgischen Mitarbeiterin Angela Summereder gegeben.
Phasenweise war es äußerst mühsam, ehrlich gesagt, es gab
schon Momente, wo ich mit diesen 100 Stunden Material verzweifelt
bin. Aber das ist ja auch das Spannende am dokumentarischen
Arbeiten. Ich muss ehrlich sagen: Ich hatte es mir anfangs einfacher
vorgestellt, einen Film über Tracht zu machen. Letztlich war „Stoff der
Heimat“ sicher mein schwierigstes Projekt.
Nr 9 2012 Pleamle Magazin