Bergzeit Winterkatalog 2013/2014

388 Seiten|Prospekte|19.11.2013 - 30.4.2014Angebot abgelaufenAktuelle Prospekte Angebote in Rümmingen

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In Marokko leben hauptsächlich Berber, Araber und arabisierte Berber.
Sie leben in einem Land, in dem es keine fixen Preise gibt. Es wird
gefeilscht und gehandelt – bei jedem noch so kleinen Geschäft. Egal ob
die Taxifahrt, ein Glas Orangensaft oder das gemeinsame Foto mit dem
Schlangenbeschwörer. Alles hat seinen Preis, aber der muss verhandelt
werden. Für uns Mitteleuropäer ist das Feilschen erstmal etwas befremdlich.
Für die Marokkaner ist das Feilschen mit uns Mitteleuropäern
vermutlich ziemlich langweilig. Meist geben wir schon in der zweiten
Runde auf und lassen uns auf den Preis ein. Hat man einmal ein Feilsch-
Gespräch zwischen zwei Marokkanern beobachtet und ein bisschen geübt,
macht es richtig Spaß den Preis für die silberne Teekanne auf ein
Drittel des ausgerufenen Wertes zu mindern – völlig egal, ob das Ding
nun wirklich so viel wert ist oder nicht. Aber darum geht es auf einer
Reise durch ein Land, das die Sinne verzaubert, nun wirklich nicht.
Einzig der frische, zuckersüße Minztee wird meist umsonst zum Essen
gereicht. Bei ebendiesem erzählt uns Bene, einer der beiden Allgäuer
Bergführer, nach dem Abendessen, dass man sich auf die Wettervorhersage
im Hohen Atlas genauso wenig verlassen kann wie auf den zuerst
ausgerufenen Preis auf dem Djemaa El Fna-Platz in Marrakesch. Für die
nächsten beiden Tage wird wechselhaftes Wetter vorhergesagt, aber er
hat ein gutes Gefühl, dass es mit dem Gipfel des Toubkal klappt.
Am nächsten Morgen wachen wir mit dem Duft von frischem Kaffee
und Minztee auf. Der Blick aus dem Fenster stimmt uns positiv und wir
sind motiviert, die erste Etappe (knapp 1400 Höhenmeter) hinauf zum
Refuge Azib Tamsoult auf 3210 m anzupacken. Im marokkanischen Expeditionsstil
wird das Skigepäck auf Mulis verladen und wir können den
Marsch durch das weite Mizane-Tal in den ersten Sonnenstrahlen des
Tages mit leichtem Gepäck genießen. Bald geht es in die Höhe und nach
nicht mal einer Stunde verstehen wir, warum Bene uns geraten hat,
nicht so viel Essen und Trinken mitzuschleppen. Die erste „Verpflegungsstation“
– ein kleiner Holzverschlag – wartet mit kleinen Snacks und
frisch gepresstem Orangensaft. Es sollte nicht der letzte Orangensaft in
den nächsten Tagen bleiben.
Weitere Infos und unsere Fotos zur
Tour finden Sie im Bergzeit Magazin unter
www.bergzeit.de/magazin/toubkal

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Wir kommen zügig voran und oberhalb des Klosters Sidi Chammharouch mit dem weiß angemalten Fels, von dem
niemand genau sagen kann warum er überhaupt weiß angemalt ist, sehen wir unsere Lastenträger weit unten im
Tal. Nach zwei weiteren Orangensaft-Press-Stationen kommen die ersten Schneefelder in Sicht. Die Mulis haben
uns mittlerweile eingeholt. Plötzlich stolpert eines der Lastentiere und rutscht im Schnee einige Meter kopfüber
den Hang hinab. Nur dem schnellen, heroischen Eingreifen von einigen Bergzeitlern ist es zu verdanken, dass das
Tier wieder aus seiner misslichen Lage befreit werden kann, aber kurz darauf, als unsere Unterkunft schon in
Sichtweite ist, wird es definitiv zu gefährlich für die Mulis und wir müssen unser Skigepäck selbst weiter tragen.
Schnell richten wir uns in der Hütte ein und starten zum Akklimatisieren noch eine Skitour durch das berühmte
James-Bond-Couloir in Richtung des Afella-Gipfels. Das Wetter ist im Laufe des Tages immer schlechter geworden
und wir sind schon etwas überrascht, dass wir in Afrika trotz anständiger Bergbekleidung dermaßen frieren. In
Gipfelnähe pfeift uns der Wind um die Ohren und wir entschließen uns zurück zur Hütte abzufahren. Schon beim
Aufstieg wurde klar: Auf dem eisig gefrorenen Schnee dürfen bei der Abfahrt keine besonderen Schwungerlebnisse
erwartet werden. Der ferne Blick aus Marrakesch hat leider getrügt. Etwas desillusioniert verkriechen wir uns
nach dem Essen in die Betten und hoffen auf eine Wetterbesserung über Nacht.
Fotos: Valentin Sauer, Totti Lingott, Baschi Bender
Die Hütte ist völlig überfüllt und an ruhigen Schlaf ist nicht zu denken. Der Sonnenaufgang wird herbeigesehnt und
entgegen aller Gewohnheit freut man sich beim Blick auf die Uhr schon weit vor der Weckzeit auf das Aufstehen.
Aber das lohnt sich dann umso mehr! Ãœber Nacht hat es ein wenig geschneit und der Himmel ist sternenklar! Alles
ist mit einem Hauch von frischem Schnee überdeckt. Wir können es kaum erwarten das Frühstück einzunehmen
und zum Gipfel des Toubkals zu stürmen. Mit dem ersten Licht geht es dann endlich los und wir bringen in kleineren
Gruppen die steilsten Stellen hinter uns. Es liegt weniger Schnee als in den letzten Jahren, aber genügend,
um wieder mit Ski bis zur Hütte abzufahren.
Wir kommen gut voran und einzig der stetige Wind zerrt an den Nerven. Mit jedem Meter Höhe wird die Aussicht
beeindruckender. Am Gipfel auf 4167 m, am höchsten Punkt Nordafrikas, hält es bei Windböen von 90 km/h
trotzdem keiner lange aus, wenngleich der Ausblick einzigartig ist. Richtung Süden liegen die Ausläufer des Djebel
Sarhro vor der Sahara. Ein paar grüne Oasen heben sich von den braunen Bergen ab. Nach Südwesten fällt der
Antiatlas in den Atlantik. Von Norden drücken düstere Wolken über den Mittleren Atlas. Nur so etwas kann man in
Afrika erleben. Die Wolken machen uns unmissverständlich klar, dass wir lieber das Wetterfenster nutzen sollten,
um noch ins Tal zu gelangen. Schließlich sind für den gleichen Tag noch der Marsch bis nach Imlil, die Fahrt nach
Marrakesch und der Besuch des Djemaa El Fna-Platzes geplant. Kurz beglückwünschen wir uns am Gipfel und
spurten zurück zum Skidepot.
Die Abfahrt zur Hütte zählt dann nicht wirklich zu den besten des Winters, aber dafür hat im ganzen Winter noch
keiner so eine leckere marokkanische Hüttenbrotzeit zu sich genommen. Wer hat sich überhaupt erlaubt von
afrikanischem Pulverschnee zu träumen? Gestärkt machen wir uns auf den Weg zu den wartenden Mulis, geben
das Skigepäck ab und schon nach vier Stunden erreichen wir Imlil. Die Fahrt nach Marrakesch nutzen die Hartgesottenen
dann zu einem Nickerchen – alle anderen können sich bei dem marokkanischem Fahrstil nicht wirklich
entspannen. Umso erfreuter sind wir, als wir in der Dämmerung dann unser Hotel direkt am großen Marktplatz von
Marrakesch beziehen. Nach einer weiteren kulinarischen Stärkung verlieren wir uns im wilden Treiben des Djemaa
El Fna-Platzes zwischen den Gauklern, Schlangenbeschwörern und Orangensaft-Ständen. Keine sechs Stunden
vorher standen wir auf dem schneebedeckten Gipfel des Toubkals und nun feilschen wir mit den Arabern um ein
paar Kamellederschlappen. Wo kann man das schon außer in Afrika?